Caroline Boissier Butini: Leben
Caroline Butini (Genf, 2. Mai 1786-Genf 17. März 1836) ist das älteste Kind von Pierre Butini und von Jeanne-Pernette, geborene Bardin. Der Vater, ein europaweit renommierter Arzt und ein grosser Musikliebhaber, scheint der wichtigste Förderer ihres Musizierens gewesen sein. Im nahen familiären Umfeld ist bisher jedoch niemand bekannt, der selber intensiv musiziert hat und die musikalische Berufung von Caroline erklären könnte. Als Zwanzigjährige schreibt die junge Frau in ihr Tagebuch: „J’ai consacré un tiers de ma vie à la musique“ (Ich habe einen Drittel meines Lebens der Musik gewidmet).
Durch ihre Herkunft gehört Caroline Butini der gesellschaftlichen Oberschicht Genfs an. Sie wächst daher in einem auch für Mädchen bildungsfördernden Umfeld auf und erhält eine breite Allgemeinbildung. Mit 22 Jahren wird sie mit Auguste Boissier (1784-1856) verheiratet. An seiner Seite kann sie sich zu einer eigenständigen (Künstlerinnen-) Persönlichkeit entwickeln. Auguste, der mehrere landwirtschaftliche Güter besitzt und verwaltet, unterstützt seine Frau im Musizieren und Komponieren; er selber ist ein leidenschaftlicher Geiger.
1810 wird dem Paar Edmond geboren, drei Jahre später Valérie. Den Winter verbringt die Familie in Genf, den Sommer auf dem Landgut in Valeyres-sous-Rances, zwischen Orbe und Yverdon. Den beiden Kindern wird viel Zuwendung und Förderung zuteil, was sich in ihren späteren Lebenswerken äussert. Edmond wird ein renommierter Botaniker und Valérie wird – unter ihrem Ehenamen de Gasparin – als Schriftstellerin und Gründerin der ersten laizistischen Krankenschwesternschule, „La Source“ in Lausanne, über die Schweiz hinaus berühmt. Wie ihre Mutter wird sie eine ausgezeichnete Pianistin; im Winter 1831-1832 wird sie bei Franz Liszt Klavier- und bei Anton Reicha Kompositionsunterricht erhalten.
Die Genferin Caroline Boissier-Butini war nach heutigem Forschungsstand – allerdings bestehen hier noch grosse Forschungslücken – eine der Vielseitigsten unter den Schweizer Komponistinnen und Komponisten ihrer Generation. Sie muss sowohl als Pianistin wie auch als Komponistin eine ausgezeichnete Ausbildung genossen haben. Der einzige Name, der sie in ihren Schriften Zusammenhang mit ihrer Klavierausbildung erwähnt, ist Mansui, wobei es sich sowohl um den Vater, Claude-Charles (keine Daten bekannt) als auch um den Sohn (François-Charles, 1785-1847) handeln kann. Für das Fach Komposition kommt Nicolas Bernard Scherer (1747-1821), in Frage; er war Organist an der Genfer Hauptkirche Sankt Peter und Komponist. Die zahlreichen Hinweise auf selbständiges Lernen auch der über Dreissigjährigen könnten auch auf eine mehrheitlich autodidaktische Ausbildung hinweisen. Mit welcher Intention die Eltern Butini ihrer Tochter erlaubt haben, eine so gründliche musikalische Bildung anzueignen, die es ihr erlaubte, auf höchstem Niveau zu spielen und im Geiste ihrer Zeit zu komponieren, ist ebenfalls unbekannt. Ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit schloss die Ausübung eines Berufs aus. Durch ausführliche Tagebucheinträge aus der Zeit vor der Heirat ist bekannt, welches Bild Caroline Butini sich selbst von einer guten Ehefrau machte und was die Genfer Gesellschaft von einer Frau ihres Standes erwartete. Daraus ist zu schliessen, dass es im Tagesablauf einer Genfer Bürgerin theoretisch keinen Platz gab für eine kreative, gestalterische Tätigkeit und schon gar nicht für eine nachhaltige Beschäftigung mit der damals ziemlich anrüchigen Kunstsparte Musik. Es erscheint daher umso aussergewöhnlicher, dass sie nach der Heirat über Jahre viel und regelmässig komponiert hat.
Über ihre musikalische Praxis wurde in der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 1. März 1815 berichtet. Dort beschreibt der Korrespondent die „ungemeine Fertigkeit [von Frau Boissier] auf dem Pianoforte“, insbesondere in einem Konzert aus ihrer Feder.
Im Frühjahr 1818 hat Caroline Boissier-Butini ihr musikalisches Können an dem der besten Pianistinnen und Pianisten in Paris und London gemessen. So spielte sie vor Marie Bigot, Ferdinand Paer, Friedrich Kalkbrenner, Johann Baptist Cramer und erntete uneingeschränktes Lob, sowohl für ihre Werke wie auch für ihre Interpretationen. Es ist erwiesen, dass sie ihre Werke bei Ignaz Pleyel in Paris veröffentlichen wollte, aber mit dieser Absicht kein Erfolg hatte; mit dem Verlag Leduc hingegen hat sie einen Vertrag abgeschlossen. In der bis gegen Ende des 19. Jahrhundert musikalisch rückständigen Stadt Genf ist sie 1825 und 1826 mehrmals in den Konzerten der lokalen „Société de musique“ aufgetreten, auch mit eigenen Werken.
In ihrem erhaltenen Oeuvre fällt die Vielzahl an Instrumentalwerken auf. Bemerkenswert ist auch die frühe Beschäftigung mit der Volksmusik ihres eigenen Umfelds. Caroline Boissier beschreibt in einem Brief von 1811, wie sie in Valeyres Volkslieder niederschrieb, die ihr eine Frau aus dem Dorf vorsang. Möglicherweise fanden einige davon Eingang in ihr 6. Klavierkonzert Suisse fanden.
Caroline Boissier-Butini war als Musikerin zu Lebzeiten schweizweit ein Begriff. Nach ihrem Tode hat die Familie ihre musikalischen Werke und ihre persönlichen Schriften (Tagebücher, Briefe, weitere Dokumente) sorgfältig aufbewahrt. 1923 haben ihr ihre Nachkommen zu einer gewissen Berühmtheit verholfen, indem sie ihr Protokoll der Klavierstunden, die ihre Tochter Valérie 1831 bei Franz Liszt in Paris erhielt, unter dem Titel Liszt pédagogue und unter dem Namen „Madame Auguste Boissier“ veröffentlichten (Reprint Champion, Paris 1993; zahlreiche Übersetzungen).
Die Werke und die Umstände der Musikpraxis von Caroline Boissier-Butini geben Einblick in die bis heute unter dem musikalischen Aspekt kaum erforschte Epoche der grossen politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Genf und in der Schweiz.
Caroline Boissier-Butini und das Klavier
“Je suis meilleure que les clavecinistes de Paris.“
So selbstbewusst hat sich Caroline Boissier-Butini in die Riege der Pianistinnen und Pianisten ihrer Zeit eingereiht, die sie anlässlich ihres Aufenthalts in Paris im Frühjahr 1818 gehört hatte. Aber wie kommt eine Vertreterin des Genfer Grossbürgertums überhaupt dazu, ihr Klavierspiel mit dem von BerufspianistInnen zu vergleichen, wo sie doch durch ihren gesellschaftlichen Status gar nicht dazu bestimmt war, eine künstlerische Tätigkeit auf höchsten Niveau auszuüben?
Im besagten Jahr unternehmen Auguste und Caroline Boissier-Butini die erste längere gemeinsame Reise ohne ihre Kinder. In ihr Reisetagebuch schreibt Caroline Boissier, dass sie mit der Reise vier klare Ziele verfolgt: sie will sich an den in Paris anwesenden Pianistinnen und Pianisten messen, gut gespielte Musik hören sowie eigene Werke publizieren; zudem will sie für sich einen Flügel und für ihren Vater ein Hammerklavier kaufen. Indem sie eine aktive Rolle als Musikerin einnimmt und nach genau bestimmten Kriterien Instrumente aussucht, die sie offensichtlich in Genf nicht gefunden hat, sprengt sie eindeutig den Rahmen der im Genfer Bürgertum üblichen Bildungs- und Gesellschaftsreise nach Paris.
Im Sommer 1811 oder 1812 hatte das Paar eine Reise durch den westlichen Teil der Schweiz unternommen und dabei den renommierten Klavier- und Orgelbauer Alois Mooser (1770-1839) in Fribourg aufgesucht. Obwohl Caroline Boissier-Butini einen Nachmittag lang mit grosser Begeisterung auf Moosers Klavieren und insbesondere auf seinem berühmten Orchesterinstrument („panharmonium“) gespielt hatte, ist in den damaligen Briefen an die Eltern von einem Instrumentenkauf nicht die Rede. Aus welchem Grund die Klaviere von Mooser für sie nicht in Frage kamen ist nicht ersichtlich. Wenige Jahre später, in Paris, stellte die Suche nach dem passenden Instrument neben Konzert- und Theateraufführungen sowie Einladungen in zahlreichen Salons die Haupttätigkeit von Caroline Boissier-Butini dar.
Die Musikerin hat im März und im April 1818 schätzungsweise 120 Instrumente bei sechs namentlich genannten Klavierbauern sowie bei wohl über einem Dutzend Instrumentenhändlern ausprobiert. Schon drei Tage nach ihrer Ankunft liefert Klavierbauer Ignaz Pleyel umsonst ein Leihklavier in ihr Hotel. So eine „Klimperkiste“ werde sie aber ganz bestimmt nicht kaufen, schreibt sie kurz darauf enttäuscht nach Hause. Die Suche ist mit Tagebucheinträgen und Briefen an ihre Eltern genau dokumentiert. Durch ihre systematische Vorgehensweise und ihre präzise Analyse der Eigenschaften der gespielten Instrumente gewährt sie einen bislang einmaligen Einblick in die Pariser Klavierbaulandschaft. Nach zwei Wochen wählt sie für ihren Vater ein Pianoforte des ehemaligen Pleyel-Mitarbeiters Lemme: „Es handelt sich um ein Clavier mit fünf Oktaven und fünf Pedalen, „pédale sèche“, Dämpfungsaufhebung, Moderator, Fagottzug und Janitscharenzug. Die Tastatur ist von oben bis unten vollkommen ausgeglichen, die Klangentwicklung ist perfekt ausproportioniert und daher sind die Bässe weniger stark als bei Freudenthal, aber besser mit den hohen Tönen abgestimmt. Die hohen Töne sind klangvoll, haben nichts Hölzernes und sind von einer sehr schönen Klangfarbe. Die Pedale funktionieren gut und die Effekte sind wohldifferenziert. Schliesslich ist der Anschlag sehr leicht, perlend, klar, glänzend. Alle Tasten sprechen gut an, sie widerstehen den verschiedenen Anforderungen, so auch den schwierigen Läufen, die so oft scheitern durch das wiederholte Anschlagen einzelner Noten.“
Hingegen erfüllt keines der angespielten Pariser Instrumente ihre Vorstellung eines guten Flügels. Am nächsten kommt der neue Broadwood-Flügel, den sie im Salon von Marie Bigot mehrmals gespielt hat. Allerdings bemängelt sie auch hier das heterogene Klangbild sowie die trägen Tasten, die schnelle Läufe hindern. Daher treten Caroline und Auguste Boissier die Reise nach London an, in der Hoffnung, dort ein besseres Instrument zu finden. Gezielt sucht Caroline Boissier-Butini am Tag nach ihrer Ankunft in London die Werkstätten der Klavierbauer Broadwood, Kirkman und Tomkinson auf. Innert drei Tagen entscheidet sie sich mühelos für ein “6 octave grand pianoforte“ von Broadwood. Dieses ist zwar verschollen; wir können uns jedoch ein Bild seiner Klangeigenschaften machen, weil es sich bei dem Flügel um eine Bauart handelt, die derjenigen des Broadwood-Flügels von 1816, auf dem die vorliegenden Aufnahmen erfolgten, nahe ist. Damit können wir uns auch der Klangästhetik der Komposition nähern. Verwandt dürfte das Instrument von Caroline Boissier auch mit demjenigen sein, das die Firma Broadwood 1817 Ludwig van Beethoven schenkte (gegenwärtig im Historischen Nationalmuseum Budapest), denn Broadwood baute in dieser Zeit nur zwei Flügelmodelle. Das für die vorliegende Aufnahme verwendete Instrument steht stellvertretend für das grössere Modell, mit Tonumfang von sechs Oktaven (C-c4).
Ein weiterer Höhepunkt dieses Abstechers nach London sind die Begegnungen mit den beiden Pianisten Johann Baptist Cramer und Friedrich Kalkbrenner. Sie sucht sie in ihrem jeweiligen Heim auf, spielt ihnen vor und lässt sich wiederum vorspielen. Auch diese beiden Begegnungen hält sie schriftlich fest und überliefert somit einen einmaligen Vergleich der Technik der beiden Musiker, weil am selben Tag und unter denselben Bedingungen entstanden.
Caroline Boissier-Butini als Komponistin
Der Versuch einer Typologie der uns vorliegenden Kompositionen von Caroline Boissier-Butini ergibt, dass sie einerseits effektvolle Stücke komponiert hat, so die sieben Klavierkonzerte, neun Bravourstücke („romances“, „thèmes/airs variés“) nach Volksliedern aus verschiedenen Nationen für Klavier, neun Kammermusikstücke für drei bis fünf Instrumente; andererseits gibt es die drei Klaviersonaten, die eindeutig in die Kategorie der ernsthaften Musik gehören, sowie die „Sonatine 1ere dédiée à Mlle Valérie Boissier“, ein Lehrstück für ihre Tochter, und ein Orgelstück. Bislang sind keine Kompositionen ohne Einsatz eines Tasteninstrumentes bekannt; es kann davon ausgegangen werden, dass Caroline Boissier-Butini sämtliche Stücke für den Eigengebrauch geschrieben hat, was nichts aussergewöhnlich ist, da in ihrer Generation Komposition und Interpretation noch als eine Einheit verstanden wurde.
Bei den vorhandenen Manuskripten – Drucke sind trotz in Paris abgeschlossener Verträge keine bekannt – dürfte es sich auf unvollkommene, nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Fassungen handeln. Dynamik und Phrasierung sind zumeist inkonsistent und unvollständig notiert. Zudem verzichtet die Komponistin fast durchweg auf die vollständige Notation der Vorzeichen in allen Oktavlagen, häufig auch für Folgetakte. Akzidentien sind erratisch, wobei die Stimmen der Kammermusikpartien insgesamt sorgfältiger bezeichnet sind als die Klavierstimme. Dies führt zur Hypothese, dass die Klavierstimmen in erster Linie als Gedankenstütze gedacht waren. Die vorliegenden Aufnahmen der Sonaten basieren auf die 2010 erfolgte Edition (Müller und Schade), während die anderen Stücke unedierte Transkriptionen der Manuskripte als Vorlage haben. Es verlangt daher vom Interpreten eine profunde Fachkenntnis der damals üblichen Notationskonventionen, um sich an die Musik heranzutasten.
Durch ihre Herkunft gehört Caroline Butini der gesellschaftlichen Oberschicht Genfs an. Sie wächst daher in einem auch für Mädchen bildungsfördernden Umfeld auf und erhält eine breite Allgemeinbildung. Mit 22 Jahren wird sie mit Auguste Boissier (1784-1856) verheiratet. An seiner Seite kann sie sich zu einer eigenständigen (Künstlerinnen-) Persönlichkeit entwickeln. Auguste, der mehrere landwirtschaftliche Güter besitzt und verwaltet, unterstützt seine Frau im Musizieren und Komponieren; er selber ist ein leidenschaftlicher Geiger.
1810 wird dem Paar Edmond geboren, drei Jahre später Valérie. Den Winter verbringt die Familie in Genf, den Sommer auf dem Landgut in Valeyres-sous-Rances, zwischen Orbe und Yverdon. Den beiden Kindern wird viel Zuwendung und Förderung zuteil, was sich in ihren späteren Lebenswerken äussert. Edmond wird ein renommierter Botaniker und Valérie wird – unter ihrem Ehenamen de Gasparin – als Schriftstellerin und Gründerin der ersten laizistischen Krankenschwesternschule, „La Source“ in Lausanne, über die Schweiz hinaus berühmt. Wie ihre Mutter wird sie eine ausgezeichnete Pianistin; im Winter 1831-1832 wird sie bei Franz Liszt Klavier- und bei Anton Reicha Kompositionsunterricht erhalten.
Die Genferin Caroline Boissier-Butini war nach heutigem Forschungsstand – allerdings bestehen hier noch grosse Forschungslücken – eine der Vielseitigsten unter den Schweizer Komponistinnen und Komponisten ihrer Generation. Sie muss sowohl als Pianistin wie auch als Komponistin eine ausgezeichnete Ausbildung genossen haben. Der einzige Name, der sie in ihren Schriften Zusammenhang mit ihrer Klavierausbildung erwähnt, ist Mansui, wobei es sich sowohl um den Vater, Claude-Charles (keine Daten bekannt) als auch um den Sohn (François-Charles, 1785-1847) handeln kann. Für das Fach Komposition kommt Nicolas Bernard Scherer (1747-1821), in Frage; er war Organist an der Genfer Hauptkirche Sankt Peter und Komponist. Die zahlreichen Hinweise auf selbständiges Lernen auch der über Dreissigjährigen könnten auch auf eine mehrheitlich autodidaktische Ausbildung hinweisen. Mit welcher Intention die Eltern Butini ihrer Tochter erlaubt haben, eine so gründliche musikalische Bildung anzueignen, die es ihr erlaubte, auf höchstem Niveau zu spielen und im Geiste ihrer Zeit zu komponieren, ist ebenfalls unbekannt. Ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit schloss die Ausübung eines Berufs aus. Durch ausführliche Tagebucheinträge aus der Zeit vor der Heirat ist bekannt, welches Bild Caroline Butini sich selbst von einer guten Ehefrau machte und was die Genfer Gesellschaft von einer Frau ihres Standes erwartete. Daraus ist zu schliessen, dass es im Tagesablauf einer Genfer Bürgerin theoretisch keinen Platz gab für eine kreative, gestalterische Tätigkeit und schon gar nicht für eine nachhaltige Beschäftigung mit der damals ziemlich anrüchigen Kunstsparte Musik. Es erscheint daher umso aussergewöhnlicher, dass sie nach der Heirat über Jahre viel und regelmässig komponiert hat.
Über ihre musikalische Praxis wurde in der Allgemeinen musikalischen Zeitung vom 1. März 1815 berichtet. Dort beschreibt der Korrespondent die „ungemeine Fertigkeit [von Frau Boissier] auf dem Pianoforte“, insbesondere in einem Konzert aus ihrer Feder.
Im Frühjahr 1818 hat Caroline Boissier-Butini ihr musikalisches Können an dem der besten Pianistinnen und Pianisten in Paris und London gemessen. So spielte sie vor Marie Bigot, Ferdinand Paer, Friedrich Kalkbrenner, Johann Baptist Cramer und erntete uneingeschränktes Lob, sowohl für ihre Werke wie auch für ihre Interpretationen. Es ist erwiesen, dass sie ihre Werke bei Ignaz Pleyel in Paris veröffentlichen wollte, aber mit dieser Absicht kein Erfolg hatte; mit dem Verlag Leduc hingegen hat sie einen Vertrag abgeschlossen. In der bis gegen Ende des 19. Jahrhundert musikalisch rückständigen Stadt Genf ist sie 1825 und 1826 mehrmals in den Konzerten der lokalen „Société de musique“ aufgetreten, auch mit eigenen Werken.
In ihrem erhaltenen Oeuvre fällt die Vielzahl an Instrumentalwerken auf. Bemerkenswert ist auch die frühe Beschäftigung mit der Volksmusik ihres eigenen Umfelds. Caroline Boissier beschreibt in einem Brief von 1811, wie sie in Valeyres Volkslieder niederschrieb, die ihr eine Frau aus dem Dorf vorsang. Möglicherweise fanden einige davon Eingang in ihr 6. Klavierkonzert Suisse fanden.
Caroline Boissier-Butini war als Musikerin zu Lebzeiten schweizweit ein Begriff. Nach ihrem Tode hat die Familie ihre musikalischen Werke und ihre persönlichen Schriften (Tagebücher, Briefe, weitere Dokumente) sorgfältig aufbewahrt. 1923 haben ihr ihre Nachkommen zu einer gewissen Berühmtheit verholfen, indem sie ihr Protokoll der Klavierstunden, die ihre Tochter Valérie 1831 bei Franz Liszt in Paris erhielt, unter dem Titel Liszt pédagogue und unter dem Namen „Madame Auguste Boissier“ veröffentlichten (Reprint Champion, Paris 1993; zahlreiche Übersetzungen).
Die Werke und die Umstände der Musikpraxis von Caroline Boissier-Butini geben Einblick in die bis heute unter dem musikalischen Aspekt kaum erforschte Epoche der grossen politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Genf und in der Schweiz.
Caroline Boissier-Butini und das Klavier
“Je suis meilleure que les clavecinistes de Paris.“
So selbstbewusst hat sich Caroline Boissier-Butini in die Riege der Pianistinnen und Pianisten ihrer Zeit eingereiht, die sie anlässlich ihres Aufenthalts in Paris im Frühjahr 1818 gehört hatte. Aber wie kommt eine Vertreterin des Genfer Grossbürgertums überhaupt dazu, ihr Klavierspiel mit dem von BerufspianistInnen zu vergleichen, wo sie doch durch ihren gesellschaftlichen Status gar nicht dazu bestimmt war, eine künstlerische Tätigkeit auf höchsten Niveau auszuüben?
Im besagten Jahr unternehmen Auguste und Caroline Boissier-Butini die erste längere gemeinsame Reise ohne ihre Kinder. In ihr Reisetagebuch schreibt Caroline Boissier, dass sie mit der Reise vier klare Ziele verfolgt: sie will sich an den in Paris anwesenden Pianistinnen und Pianisten messen, gut gespielte Musik hören sowie eigene Werke publizieren; zudem will sie für sich einen Flügel und für ihren Vater ein Hammerklavier kaufen. Indem sie eine aktive Rolle als Musikerin einnimmt und nach genau bestimmten Kriterien Instrumente aussucht, die sie offensichtlich in Genf nicht gefunden hat, sprengt sie eindeutig den Rahmen der im Genfer Bürgertum üblichen Bildungs- und Gesellschaftsreise nach Paris.
Im Sommer 1811 oder 1812 hatte das Paar eine Reise durch den westlichen Teil der Schweiz unternommen und dabei den renommierten Klavier- und Orgelbauer Alois Mooser (1770-1839) in Fribourg aufgesucht. Obwohl Caroline Boissier-Butini einen Nachmittag lang mit grosser Begeisterung auf Moosers Klavieren und insbesondere auf seinem berühmten Orchesterinstrument („panharmonium“) gespielt hatte, ist in den damaligen Briefen an die Eltern von einem Instrumentenkauf nicht die Rede. Aus welchem Grund die Klaviere von Mooser für sie nicht in Frage kamen ist nicht ersichtlich. Wenige Jahre später, in Paris, stellte die Suche nach dem passenden Instrument neben Konzert- und Theateraufführungen sowie Einladungen in zahlreichen Salons die Haupttätigkeit von Caroline Boissier-Butini dar.
Die Musikerin hat im März und im April 1818 schätzungsweise 120 Instrumente bei sechs namentlich genannten Klavierbauern sowie bei wohl über einem Dutzend Instrumentenhändlern ausprobiert. Schon drei Tage nach ihrer Ankunft liefert Klavierbauer Ignaz Pleyel umsonst ein Leihklavier in ihr Hotel. So eine „Klimperkiste“ werde sie aber ganz bestimmt nicht kaufen, schreibt sie kurz darauf enttäuscht nach Hause. Die Suche ist mit Tagebucheinträgen und Briefen an ihre Eltern genau dokumentiert. Durch ihre systematische Vorgehensweise und ihre präzise Analyse der Eigenschaften der gespielten Instrumente gewährt sie einen bislang einmaligen Einblick in die Pariser Klavierbaulandschaft. Nach zwei Wochen wählt sie für ihren Vater ein Pianoforte des ehemaligen Pleyel-Mitarbeiters Lemme: „Es handelt sich um ein Clavier mit fünf Oktaven und fünf Pedalen, „pédale sèche“, Dämpfungsaufhebung, Moderator, Fagottzug und Janitscharenzug. Die Tastatur ist von oben bis unten vollkommen ausgeglichen, die Klangentwicklung ist perfekt ausproportioniert und daher sind die Bässe weniger stark als bei Freudenthal, aber besser mit den hohen Tönen abgestimmt. Die hohen Töne sind klangvoll, haben nichts Hölzernes und sind von einer sehr schönen Klangfarbe. Die Pedale funktionieren gut und die Effekte sind wohldifferenziert. Schliesslich ist der Anschlag sehr leicht, perlend, klar, glänzend. Alle Tasten sprechen gut an, sie widerstehen den verschiedenen Anforderungen, so auch den schwierigen Läufen, die so oft scheitern durch das wiederholte Anschlagen einzelner Noten.“
Hingegen erfüllt keines der angespielten Pariser Instrumente ihre Vorstellung eines guten Flügels. Am nächsten kommt der neue Broadwood-Flügel, den sie im Salon von Marie Bigot mehrmals gespielt hat. Allerdings bemängelt sie auch hier das heterogene Klangbild sowie die trägen Tasten, die schnelle Läufe hindern. Daher treten Caroline und Auguste Boissier die Reise nach London an, in der Hoffnung, dort ein besseres Instrument zu finden. Gezielt sucht Caroline Boissier-Butini am Tag nach ihrer Ankunft in London die Werkstätten der Klavierbauer Broadwood, Kirkman und Tomkinson auf. Innert drei Tagen entscheidet sie sich mühelos für ein “6 octave grand pianoforte“ von Broadwood. Dieses ist zwar verschollen; wir können uns jedoch ein Bild seiner Klangeigenschaften machen, weil es sich bei dem Flügel um eine Bauart handelt, die derjenigen des Broadwood-Flügels von 1816, auf dem die vorliegenden Aufnahmen erfolgten, nahe ist. Damit können wir uns auch der Klangästhetik der Komposition nähern. Verwandt dürfte das Instrument von Caroline Boissier auch mit demjenigen sein, das die Firma Broadwood 1817 Ludwig van Beethoven schenkte (gegenwärtig im Historischen Nationalmuseum Budapest), denn Broadwood baute in dieser Zeit nur zwei Flügelmodelle. Das für die vorliegende Aufnahme verwendete Instrument steht stellvertretend für das grössere Modell, mit Tonumfang von sechs Oktaven (C-c4).
Ein weiterer Höhepunkt dieses Abstechers nach London sind die Begegnungen mit den beiden Pianisten Johann Baptist Cramer und Friedrich Kalkbrenner. Sie sucht sie in ihrem jeweiligen Heim auf, spielt ihnen vor und lässt sich wiederum vorspielen. Auch diese beiden Begegnungen hält sie schriftlich fest und überliefert somit einen einmaligen Vergleich der Technik der beiden Musiker, weil am selben Tag und unter denselben Bedingungen entstanden.
Caroline Boissier-Butini als Komponistin
Der Versuch einer Typologie der uns vorliegenden Kompositionen von Caroline Boissier-Butini ergibt, dass sie einerseits effektvolle Stücke komponiert hat, so die sieben Klavierkonzerte, neun Bravourstücke („romances“, „thèmes/airs variés“) nach Volksliedern aus verschiedenen Nationen für Klavier, neun Kammermusikstücke für drei bis fünf Instrumente; andererseits gibt es die drei Klaviersonaten, die eindeutig in die Kategorie der ernsthaften Musik gehören, sowie die „Sonatine 1ere dédiée à Mlle Valérie Boissier“, ein Lehrstück für ihre Tochter, und ein Orgelstück. Bislang sind keine Kompositionen ohne Einsatz eines Tasteninstrumentes bekannt; es kann davon ausgegangen werden, dass Caroline Boissier-Butini sämtliche Stücke für den Eigengebrauch geschrieben hat, was nichts aussergewöhnlich ist, da in ihrer Generation Komposition und Interpretation noch als eine Einheit verstanden wurde.
Bei den vorhandenen Manuskripten – Drucke sind trotz in Paris abgeschlossener Verträge keine bekannt – dürfte es sich auf unvollkommene, nicht zur Veröffentlichung vorgesehene Fassungen handeln. Dynamik und Phrasierung sind zumeist inkonsistent und unvollständig notiert. Zudem verzichtet die Komponistin fast durchweg auf die vollständige Notation der Vorzeichen in allen Oktavlagen, häufig auch für Folgetakte. Akzidentien sind erratisch, wobei die Stimmen der Kammermusikpartien insgesamt sorgfältiger bezeichnet sind als die Klavierstimme. Dies führt zur Hypothese, dass die Klavierstimmen in erster Linie als Gedankenstütze gedacht waren. Die vorliegenden Aufnahmen der Sonaten basieren auf die 2010 erfolgte Edition (Müller und Schade), während die anderen Stücke unedierte Transkriptionen der Manuskripte als Vorlage haben. Es verlangt daher vom Interpreten eine profunde Fachkenntnis der damals üblichen Notationskonventionen, um sich an die Musik heranzutasten.
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1200 Genève
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